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Schlicki war froh, dass der Boden über ihm nicht mehr bebte und er drückte noch ein Spaghetti- Häufchen ab. Dabei stieß er auf etwas Hartes. Erstaunt kroch er ein Stück nach oben und entdeckte bei genauerem Hinsehen ein größeres Stück Holz. Während er das Holzstück noch betrachtete, erschrak er plötzlich. Zwei große Kulleraugen schauten ihn an.
Sie gehörten zu dem Holzbohrwurm Hannes, der den Ruf hatte, ein Pirat der Meere zu sein, und der so clever und findig ist, dass man sich vor ihm in Acht nehmen musste. Keine Schiffswand war vor ihm sicher, Hannes konnte sie alle bezwingen und sich in sie hineinbohren. Seine Vorfahren hatten sogar den Spruch „Holland in Not“, den ein jeder wohl schon mal gehört hat, geprägt. Sie waren für eine große Not, die es wirklich vor langer Zeit in Holland gab, verantwortlich. Sie zerstörten alle Holzschutzwehre von innen völlig. Darum sind die Schutzwehre heute alle aus Stahl. Hannes wirkte jedoch ziemlich harmlos auf Schlicki, er ließ sich von der Sonne bescheinen und genoss den Augenblick.
Beide machten sich bekannt und unterhielten sich über das schöne Wetter. Hannes sagte: „Schön ist’s heute, doch wenn das Wetter sich nicht immer wieder mal ändern würde, könnten neun von zehn Leuten kein Gespräch führen.“ Schlicki, der ja eigentlich traurig war, musste über Hannes Aussage lachen.
„Das wurde aber auch Zeit, dass Du endlich lachst, vor lauter Griesgram hattest Du ja schon einen Knoten im Gesicht, Schlicki! Welcher Seefloh ist Dir denn über die Röhre gekrochen?“ fragte Hannes.
Ach, das tat gut, endlich konnte Schlicki seinen Kummer von der Seele reden und seinem Herzen richtig Luft machen. Er erzählte Hannes von Julia, die er so gerne mit einem goldenen Ring heiraten würde und schilderte ihm seine unerfüllte Sehnsucht, die ihm fast das Herz zerbrach.“
Hannes hatte ihm teilnahmsvoll zugehört. „Ach, weißt Du, Schlicki,“ meinte er dann beruhigend, „Du siehst gar nicht so schlecht aus, denn Du kennst mich, und ich will versuchen Dir zu helfen. Einen Goldring kann ich Dir wohl nicht beschaffen, jedoch will ich versuchen, drei Muschelperlen für Dich zu finden. Eine für die Liebe, die zweite für die Treue und die dritte für viele Kinder. Wenn das nicht sogar etwas ganz Besonderes ist!“ - „Das würdest Du für mich tun?“ fragte Schlicki ungläubig. „Wo bekommst Du sie her, aus der Südsee?“ –
Hannes erwiderte: „Ich kenne eine ganze Menge Muscheln, die an der Wattkante wohnen, vielleicht haben die ein paar Perlen für Dich.“ Schlicki fragte Hannes, wie er denn bloß dort hinkommen wolle, da die Wattkante ja so weit entfernt war, wie für den Menschen der Mond. Hannes jedoch winkte ab und sagte: „Nur keine Sorge, ich werde die Flut abwarten. Habe zwar keine Luftmatratze, aber – noch viel besser- ein Stück Holz. Das trägt mich überall dort hin, wo ich hin will. Überleg Du Dir lieber, wie Du Julia Deinen Heiratsantrag präsentieren wirst, und nun mach’s mal gut!“ Der Wattboden, auf dem das Stück Holz mit Hannes gelegen hatte, war zu einem kleinen Rinnsal geworden, welches stetig größer wurde. Allmählich tanzte das Stück Holz mit Hannes auf dem Wasser des Rinnsals, was langsam zu einem größeren Rinnsal wurde. Schlicki sagte: „Tschüss, Hannes!
Viel Glück und pass auf Dich auf!“
Er drückte eine gute Portion Schlick nach oben, doch sein Spaghetti- Hügelchen war schon nicht mehr zu sehen. Aus dem Rinnsal war mittlerweile ein Priel geworden. Als klatschende Schritte über den Wattboden, der noch nicht unter Wasser stand, und wasserspritzende Tritte, die sich durch die Priele kämpften, laut wurden, war das Stück Holz mit Hannes schon davon geschwommen. Die Stimme von Wattführer Grimm ertönte über Schlicki und ein lachendes Stimmengewirr begleitete sie. Schlicki sagte zu sich: „Ach, je, die Wattplatt- Trampler sind schon wieder da.“ Er hörte, wie der Wattführer über ihm erklärte: „Wenn das Meer kommt und geht, nennen wir das „Die Gezeiten“. Das Wasser hat während seiner Flut den höchsten Stand. Bei Ebbe zieht es sich bis zu seinem Tiefstand zurück. Sechs Stunden lang steigt das Wasser und bedeckt mehr und mehr den Strand. Würmer, Krebse und Fische gehen auf Nahrungssuche. In den nächsten sechs Stunden fällt das Wasser. Nun kommen Vögel, um nach Würmern und Muscheln zu suchen.“ –
„ Aua“ dachte Schlicki beim letzten Satz des Wattführers. „Ich muss immer schön aufpassen, dass mich die Vögel nicht holen, damit ich Julchen immer beschützen kann, damit ihr niemals ein Leid widerfährt.“ Er lauschte nach oben, ob der Wattführer noch mehr schlimme Geschichten zu erzählen hatte, doch was er hörte, war nichts Neues. Er hatte schon oft gehört, dass der Mond die Gezeiten verursacht, da er die Wassermassen auf der Erde in seine Richtung zieht. Springfluten entstehen, wenn Sonne, Mond und Erde eine Linie bilden, dann wirken die Kraft der Sonne und die Kraft des Mondes zusammen.
Eine Sturmflut dagegen hat nichts mit den Gezeiten zu tun! Sie besteht aus einer Kette gigantischer Wellen, die eine Überschwemmung verursachen.
Ein Erdbeben am Meeresgrund oder ein unterseeischer Vulkanausbruch können an der Meeresoberfläche diese riesigen Wellen, sogenannte Tsunamis, entstehen lassen. Dann tobt das Meer und die Küsten werden überflutet. Wenn Menschen nahe am Strand leben, kann das ihr Todesurteil sein. Oh, nein, dachte Schlicki, der dieses Mal ganz genau zugehört hatte, weil er ja seinen neuen Freund draußen im tiefen Meer wähnte, das ist ja schrecklich, wenn Hannes nun in so eine Mörderwelle kommt! Und wenn diese mit Wucht unser schönes Watt überrollt! Nicht auszudenken, was dann mit Julchen und ihm geschehen würde! –
Schlicki hörte Wattführer Grimm sagen, dass die Meeresströmungen wie Flüsse Kalt- oder Warmwassermassen durch die Meere führen. „Das Meer hat eine wichtige Aufgabe für den Wasserkreislauf. Hier bilden sich Wolken, die über das Land ziehen und Regen bringen. Das funktioniert so: Die Sonne erwärmt das Meerwasser. Wasserdampf steigt auf und ballt sich zu Wolken zusammen. Der Wind treibt die Wolken voran. Wenn die Luft abkühlt, werden aus dem Dampf Tropfen, die dann als Schnee, Regen oder Hagel auf die Erde fallen. Dieses Wasser sammelt sich in Bächen und Flüssen und gelangt wieder ins Meer.“ – „Wie entstehen denn die Wellen?“ fragte jemand, und die Antwort lautete: „ Sie entstehen durch den Wind, der über das Meer bläst. Die Wellen brechen sich dann an felsigen Küsten und Stränden.“ – „Kann uns im Watt etwas Schlimmes passieren?“ fragte ein Mädel. „Das Watt wird mit einem Radar überwacht, und jeder Mensch, der sich im Watt aufhält, ist auf dem Monitor in der Schwimmmeisterstation als Punkt zu erkennen. Kommt ein Mensch zu spät aus dem Watt und wird er von Prielen eingeschlossen, erkennen das die Schwimmmeister und retten den Menschen mit ihrem Amphibienfahrzeug, das an Land fahren und auf dem Wasser wie ein Boot schwimmen kann. Für Notfälle gibt es im Watt auch mehrere Rettungsbaken. Auf diese Türme kann ein von Wasser Eingeschlossener klettern. Er ist selbst dann in Sicherheit, wenn die Flut die Nordsee ganz hoch hat steigen lassen, denn die Plattform der Rettungsbaken befindet sich über dem Wasserspiegel. Auf jedem Turm befinden sich Raketen, die im Notfall abgeschossen werden dürfen, um auf sich aufmerksam zu machen. Auch Seenebel birgt eine große Gefahr im Watt. Darum solltet ihr nie ohne Wattführer im Watt unterwegs sein. Im Seenebel, wenn man den Strand, ja, den Nachbarn und die Hand vor Augen nicht mehr sehen kann, richtet der Wattführer sich nach dem Kompass. Alle müssen sich an die Hand nehmen und die von ihm für solche Notfälle mitgeführte Wäscheleine anfassen und sich von ihm aus dem Watt an den Strand führen lassen. – So, jetzt merken wir um die Füße bereits, dass das Wasser eine hohe Fließgeschwindigkeit hat, darum müssen wir jetzt zurück zum Strand. Wenn der erste Priel sich füllt und steigt, wird er zum reißenden Fluss und seine Strömung zieht jeden, der nicht rechtzeitig das Watt verlassen hat, hinaus in die Nordsee. Das Gefährliche am Watt ist, dass es von vielen Prielen wie ein Spinnennetz durchzogen ist. Wenn diese bei Flut zu reißenden Strömungen werden, haben Eingeschlossene kaum noch eine Überlebenschance.“
Die Stimmen entfernten sich in Richtung Strand. Schlicki drückte schnell noch einmal Schlick ab und rutschte wieder zurück nach unten in seine Röhre. Er wollte keine schlimmen Geschichten mehr anhören, sondern sich sicher fühlen und von seiner Liebsten träumen.
Er schloss die Äugelein und träumte:
Ihm war, dass er immer größer und größer wurde und schließlich in Größe XXL über dem Schlick stand. Erstaunt blickte er sich um, und stand direkt dem Wattführer gegenüber.
Super geschickt fragte er ihn gleich: „Sag mal, du bist doch so ein schlauer Wattführer. Kannst du mir sagen, wie ich meine Angebetete davon überzeugen kann, dass ich der Richtige für sie bin?“
Da antwortete ihm Wattführer Grimm:
„Du musst nur hartnäckig bleiben.- Bleib dran Junge!“
Schlicki war über alle Maßen glücklich: „ Danke, „alter Grimm“, für den guten Rat.
Ich will mein Bestes geben,
dran bleiben und nicht aufgeben.“
Als Schlicki aufwachte, war er auf sonderbare Weise glücklich.
Hannes ließ sich indessen von der wachsenden Flut in Richtung Wattkante treiben. Er musste sich kräftig im Holz festhalten, denn die Wellen wurden immer höher und die Strömung immer stärker. Ohne es zu ahnen, wurde er statt zur Wattkante in die offene Nordsee getrieben.
Als er es merkte, war seine Angst grenzenlos, und er wäre gern zu Schlicki zurückgekehrt. Aber das Holzstück war nicht mehr aufzuhalten. Es düste wie eine Rakete immer weiter und weiter. Es gruselte Hannes und er schloss die Augen. Doch wurde seine Angst dadurch nicht geringer, und sein Problem blieb leider bestehen. Also öffnete er die Augen wieder. Er wusste, er konnte sich entweder mit seinem Schicksal abfinden und leiden, oder auf der Hut sein und auf äußere Einflüsse gefasst sein, um so gut und so schnell wie möglich zu reagieren.
Das Wasser wurde zusehends kälter, je weiter Hannes mit seinem Holzstück in die Fremde abgetrieben wurde. Es klatschte ihm in die Augen und war so trübe, dass er kaum noch etwas sehen konnte. Er hatte den Ruf, ein „Pirat der Meere“ zu sein, da er es immer verstanden hatte, sich mutiger zu zeigen, als er eigentlich war, doch nun saß er zwar auf seinem Holzstück, wie ein Pirat auf seiner Jolle, doch wie ein Pirat kam er sich wirklich nicht vor, eher wie ein armes kleines Würstchen.
Plötzlich gab es einen heftigen Stoß. Hannes ängstigte sich. Was war bloß geschehen? Er spähte vorsichtig aus seiner Holzröhre und entdeckte ein Schiff mit Besatzung, das im Augenblick an ihm vorbeikam. Es verursachte enorm hohe Wellen.
„Hilfe, Piraten! Lieber Gott, verlass mich nicht – ich verlass’ dich auch nicht!“ rief Hannes und wünschte sich ganz weit weg von diesem Ort.
Da kam auch schon die nächste Welle, und mit ihrem Druck schleuderte sie das Holzstück mit Hannes gegen die Bordwand des Schiffes. Hannes war ganz benommen. Als er wieder zu sich kam, bemerkte er einen Matrosen, der sich mit wilden Bewegungen über die Bordwand beugte. Er hielt einen Strick in der Hand, an dessen unterem Ende der Henkel eines Eimers befestigt war. Der Mann holte mit dem Arm kräftig aus, schwenkte den Eimer hin und her und ließ ihn mit einem Ruck ins Wasser fallen. Den mit Wasser gefüllten Eimer zog er dann mit dem Strick wieder nach oben über die Reling.
Dann kippte der Matrose das Wasser auf das Deck des Schiffes, um gleich darauf den leeren Eimer wieder ins Wasser zu lassen. Während Hannes den Mann beobachtete und überlegte, ob dieser wohl ein sehr gefährlicher oder nur ein halb gefährlicher Pirat sei, merkte er gar nicht, in welch großer Gefahr er sich befand.
Und da geschah es auch schon! Plötzlich und unerwartet wurde Hannes, mit seinem Holzstück - es machte einen lauten „Blubb“ - in den Eimer gezogen. Huh, wie es Hannes gruselte. Was würde nun mit seinem Holzstück, das ja auch seine Wohnung war, geschehen? Ehe Hannes einen klaren Gedanken fassen konnte, machte es laut „Klatsch“ und der Eimer mit Hannes und seiner Behausung wurde auf Deck umgekippt.
Das Wasser verbreitete sich auf dem Schiffsdeck und beförderte das Holzstück unter eine aufgerollte Plane. Hannes wurde unsanft aus seiner Röhre geschleudert.
Er sah vor sich eine große Holzwand. Es war die Steuerbordseite des Schiffes. So schnell Hannes nur konnte, versuchte er die Wand zu erreichen, denn er wusste genau, dass er dort sicher sein konnte. Er brauchte sich nur ein Loch hineinzubohren, was für einen Holzbohrwurm kein großer Auftrag ist.
Endlich hatte er sein Ziel erreicht und bohrte sich sogleich seine Röhre in die dicke Wand. Nun fühlte er sich wieder ein wenig sicherer. Er saß in seinem Versteck und hörte, wie der Matrose noch einige mit Wasser gefüllte Eimer auf das Deck klatschen ließ. Dann vernahm er ein kratzendes Geräusch, als mit dem Schrubber die Planken blank gescheuert wurden. Dabei fluchte der Mann fürchterlich -. Hannes glaubte ganz bestimmt, dass der Mann, der in seinen Augen ein Pirat war, sein Stück Holz, das unter die Plane gerollt war, suchte. Weil er es nicht finden konnte, schimpfte er böse. Zum Glück hatte Hannes es längst geschafft, sich vollständig in die Bordwand zurückzuziehen und darin zu verstecken. Das Holz, in das er sich hineinbohren musste, um in die Tiefe der dicken Holzwand zu gelangen, schmeckte widerlich, denn es war geteert. Aber wenigstens befand er sich in Sicherheit, stellte Hannes erschöpft und abgespannt fest, und seine Augen, die ganz klein geworden waren, fielen zu, und er schlief ganz schnell ein.
Er träumte davon, wie er als Held ins Watt nach Cuxhaven zurückkehrte, wo er von allen Wattbewohnern sehnsüchtig erwartet und mit Freuden empfangen wurde. Er hatte drei Muschelperlen im Gepäck, war ein großer Star, und alle beklatschten und feierten ihn. Das Klatschten wurde immer lauter und lauter – und...
als Hannes wieder erwachte, gelangte er ganz schnell wieder in die Wirklichkeit zurück. Er vernahm anstatt des bewundernden Klatschens nun das laute Klatschen der Wellen an die Schiffswand und ein lautes Tosen. Das Meer war sehr bewegt und Hannes spürte, wie das Schiff bedrohlich schlingerte. Es neigte sich mal nach links und mal nach rechts. Dann wieder wurde es durch die Wellen angehoben, um anschließend nach unten gedrückt zu werden. Die eine Bewegung löste sehr schnell die andere ab.
Hannes verstand nicht richtig, was geschah; er hatte so etwas noch nie zuvor erlebt. Um genau sehen zu können, was los war, bohrte er sich noch weiter durch die Bordwand. Es war anstrengend, aber bald hatte er das Ende der Wand erreicht, und er sah wie durch ein Fenster.
Er blickte auf einen pechschwarzen Himmel. Dicke Regentropfen klatschten auf das dunkle Wasser, und starke Sturmwellen schlugen gegen das Schiff. Ein riesiger Brecher nach dem anderen krachte gegen die Schiffswand, so dass das Schiff ächzte und stöhnte.
Hannes hatte bei all den Turbulenzen Angst, den Halt zu verlieren, und in die schwarze unheimliche Nacht in das schwarze kalte Wasser zu fallen. Er rutschte durch die Bordwand zurück und ließ sich auf das Deck fallen. Es gelang ihm, sich zur Plane zu schlängeln, um seine kleine Wohnung dort zu suchen. Doch er suchte vergeblich nach seinem kleinen Holzstück. So sehr er suchte, es war nirgends zu sehen. Hannes wurde immer aufgeregter, und plötzlich wurde er von einem Wasserschwall, der über die Bordwand schwappte, getroffen, und gegen eine Kiste gedrückt. Hannes wollte so schnell wie möglich diesen gefährlichen Ort verlassen. Er kroch die Kiste entlang und fand an deren anderem Ende ein Rettungsboot. Er beobachtete nun, wie einige Männer das Rettungsboot aus seiner Verankerung lösten. Hannes bohrte sich ganz schnell in den Kiel des Rettungsbootes und fraß sich weiter hinein, bis zu den oberen Planken.
Das Geheul des Sturmes und der heranrollenden Wellen wurde immer lauter, tosender und durchdringender. Jetzt hörte Hannes auch ein Brechen und Splittern. Schiffsmasten knickten und fielen über Bord. Das Schiff neigte sich zur Seite. Ein großer kräftiger Mann, bestimmt ein Pirat, dachte Hannes, kam zum Rettungsboot gelaufen. Laut und aufgeregt rief er immer wieder: „Alle in das Rettungsboot! Das Schiff sinkt!“
Das Rettungsboot mit Hannes und den Männern wurde schnell zu Wasser gelassen. Die Schiffsbesatzung, einschließlich des Kapitäns, sprang flink in das Rettungsboot und ruderte um ihr Leben. Sie mussten sich alle beeilen, damit der Sog des sinkenden Schiffes sie – und mit ihnen Hannes – nicht in die Tiefe zog.
Hannes dachte derweil: Lieber mit Piraten im Rettungsboot als mit dem Schiff auf dem Meeresgrund. Er bohrte sich so weit in das Boot, dass kaum noch Wasser in seinen Gang eindringen konnte. Dann beschloss er, sich still zu verhalten und hoffte, dass die rudernden Männer es schaffen würden, das Boot aus der Gefahrenzone zu bringen. Hannes war müde und schlief erschöpft ein.
Nach einigen Stunden wurde er wieder wach und stellte fest, dass der Wellengang nachgelassen hatte, und das Meer ruhiger geworden war. Das große Schiff war wohl gesunken. Außer dem Rettungsboot war weit und breit kein anderes Schiff zu sehen. Von der Strömung erfasst, trieb das Boot immer weiter und weiter. Es wurde sehr kalt und ab und zu schneite es sogar. Hannes hörte einen der Männer sagen: „Männer, ich glaube wir sind in der Nähe von Kap Hoorn!“ Den Namen
hatte Hannes noch niemals gehört, und er war überzeugt davon, dass es ein Ort sein müsse, an dem Piraten zu Hause sind.
Es muss wohl am fünften Tag nach dem Sturm gewesen sein, als endlich Land in Sicht kam. Die Matrosen und ihr Kapitän ruderten das Boot an die Küste. Sie waren tatsächlich an der Spitze von Südamerika angelangt.
Die Seemänner gingen an Land und Hannes war wieder allein. Er dachte über seine Situation nach, und es fiel ihm sein Versprechen wieder ein, das er seinem neuen Freund Schlicki gegeben hatte, und wegen dem er nun an einem sehr fernen Ort war.
Freunde soll man nicht enttäuschen,
dachte Hannes, und Versprechen hielt er in der Regel. Denn er war ein Holzbohrwurm, nicht nur der Worte, sondern der Taten. Doch wie sollte er nur an die versprochenen Perlen kommen, an einem Ort, den er nicht kannte? Und selbst, wenn er die Perlen fände, wie solle er mit ihnen zurück nach Cuxhaven gelangen. Müsste er da etwa wieder durch den gefährlichen Sturm? Nicht auszudenken! Hannes, der noch immer im Kiel des Rettungsbootes saß, war ratlos. Er dachte sich schließlich:
Jeder Weg beginnt mit einem Schritt
und kroch aus seinem Unterschlupf heraus.
Irgendetwas musste er unternehmen, aber was?