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Autorin Sabine Grimm mit ihrem Buch "Verschollen im Watt"

Musik copyright by Bernd Krüger
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Eine Bitte für arme Kinder

Wie wandelt sich’s am Sommermorgen schön
vom Tale aufwärts zu den Bergeshöh’n!
Was in der Tiefe dunst’ges Nebelgrau,
glänzt auf der Höhe als demant’ner Tau.
Das blitzt und funkelt in der Sonne Gold,
als ob die Welt ein Eden werden wollt’!
Ja, selbst das Blatt, das kränkelnd hängt vom Stamm,
umflammet nun ein Lichtschein wundersam.
Zu Perlenschnüren werden Spinneweben,
wenn über sie die Sonnenstrahlen schweben,
und jauchzend künden’ s helle Vogelzungen,
wie alles rings von Lebensmut durchdrungen!
Sieh, auf dem Schulweg Mädel dort und Knaben!

Karg sind für sie des reichen Daseins Gaben,
nackt ist der Fuß, die Wange hohl und bleich;
doch schau, es hat aus seinem Königreich
der Sommer diese Kleinen auch beschenkt!
Sieh, wie der Bursch den Busch mit Beeren schwenkt,
wie dort das Mägdelein sich des Apfels freut!
Oh, es sind Kinder armer, armer Leut’,
bei denen mit dem Glanz vom Morgenrot
beginnen muss der saure Kampf ums Brot,
bei denen, wenn der Abendstern erblinkt,
Behagen nicht nach harter Arbeit winkt,
ein dumpfer Schlaf auf Lumpen nur und Stroh –
der Sommer aber macht auch diese froh
und lässt in seiner Milde sie vergessen,
wie schmal für sie das Erbteil zugemessen!
Nun aber wird es anders allgemach.
Weiß schimmert oft der Reif auf Baum und Dach.
Kein Lied der Vögel ist mehr zu erlauschen.
In jedem Windhauch dürre Blätter rauschen.
Mit ihrem warmen Strahl die Sonne kargt – 
Nur kurze Zeit – und es ist eingesargt
des Sommers Pracht ringsum in Eis und Schnee.
O Gott, wie tun alsdann die Arme weh!
Wie schmerzt dem blassen Kind der nackte Fuß,
der auf gefror’ nen Schollen wandern muss!
Wie hat verlernt das Bürschlein den Gesang,
das, frohen Sinns den Busch mit Beeren schwang!
Im scharfen Nord des Mädels Odem raucht,
das frierend in die mageren Händchen haucht
und hastig strebt, im Schulhaus anzukommen.
In warmer Stube wird es aufgenommen,
und lernen soll es nun wie’s Pflicht und Brauch.
Ach, warum irrt das matte, trübe Aug’
so oft umher, was zittert in der Hand?
Der Griffel?  –  habt Ihr Hunger je gekannt?


Seid Ihr durchfroren nach der langen Nacht
einmal auf Stroh am Morgen aufgewacht,
habt mit dem ersten Blick nur Rot geschaut
und dann als Imbiss trock’nes Brot gekaut?
Fürwahr, wenn Ihr es einmal nur gesehen,
Ihr könnt nicht herzlos mehr beiseite stehen,
und könnt Ihr auch nicht alles Elend wenden,
Ihr gebet gern und gebet mit vollen Händen!
Wohlan denn! Lasst den Druck der Armut lindern
vor allem uns bei armen, schwachen Kindern,
bei jener Jugend, siech und hungersmatt,
für die der Lebenslenz nicht Blüten hat!
Die frosterstarrt und ungesättigt nah’ n
der Schule, ihrer nehmt Euch liebend an!
Ein Becher Milch, ein Brot – Ihr ahnt es kaum,
welch Labsal für den jungen Lebensbaum
solch’ eine kleine Gabe! Wenn der Winter rau
in Eiskristalle wandelt schnell den Tau,
wenn er der Sonne Glanz mit Wolken deckt,
sein Zepter über Wald und Fluren reckt,
dann bring’ die Menschenliebe Sonnenschein,
dann soll das Mitleid reich die Gaben weih’ n!
Wir wissen’ s ja, wie man am Weihnachtsfest
so gern den Ärmsten auch sich freuen lässt,
wie man den Christbaum für den Dürft’gen schmückt,
wenn alles mit Geschenken sich beglückt!
Gesegnet sei, wer lindert Gram und Not!
Doch eins vor allem: „Unser täglich Brot,
das gib uns heute!“ Höher dies Gebet
noch als die schönste Festtagsspende steht,
und kann man auch nicht helfen allen, allen,
die auf Armut Dornenwagen wallen,
den hageren Mündlein, die da hungernd beben,
das Frühbrot lasst uns jenen Kleinen geben!
Ein Becher Milch, ein Brot – und sonst nichts mehr!
Mit leerem Magen ist das Lernen schwer.
Doch, wenn die Wohltat bringt das Angebind,
vergessen ist des Tages Leid geschwind,
da wächst im Kind, wie wenig ihm auch bliebe,
das Gottvertrau’n, der Glaube an die Liebe,
da winkt Genesen für den Schwachen, Kranken!
Die Engel werden’ s einst den Vätern danken,
wenn ein Geschlecht erstanden, das erkennt,
wie glühend noch der Liebe Flamme brennt,
dass Lüge spricht der Mund der Hasspropheten,
die laut verkünden: Ausgesaugt, zertreten
wird von den Reichen, wer da arm und schwach!
Du fromme Menschenliebe, werde wach!
Gedenk’ der Kleinen auf der Schülerbank,
der armen Menschenkinder, schwach und krank!


Emil Ritterhaus


Aus der „Gartenlaube“

1978 by Wiener Verlag, Wien

Diese Bitte gilt auch heute noch!