Herr von Gigerich
und
Herr von Gagerich
Auf einem Bauernhof lebte ein junger Hahn, namens Gigerich, und auf dem Nachbarhofe stolzierte ebenfalls ein Hahn, namens Gagerich. Diese beiden Hahnenmänner waren sehr schlecht aufeinander zu sprechen. Und da jeder von Natur aus sehr zornig und aufbrausend veranlagt war, lebten sie in steter Feindschaft, wie dies bei Zorngockeln ja bekanntlich oft vorzukommen pflegt.
Heute namentlich schienen sie beide – trotz des lieben Sonntags – mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gestiegen zu sein, denn kaum ließ Gigerich sein „Kik- ri- ki, Kik- ri- ki!“ in die frische Morgenluft erschallen, als Herr Gagerich nebenan in den höchsten Tönen antwortete: „Bin auch schon hi – bin auch schon hi!“
„Herr Nachbar, hab ich Sie vielleicht gefragt?“ krähte Gigerich spitz hinüber, und: „Potztausend, das haben Sie fein gesagt“, spottete Gagerich zurück.
„Nun halt er den Schnabel, und schweig’ er still!“ klang es herrisch über die Mauer, und: „Hoho – das mach’ ich gerade wie ich will!“ tönte es hinüber.
Da gab es dann ein gewaltiges Gig und Gag, und Schnick und Schnack, denn sämtliche Hühner, Gänse und Enten hatten Partei ergriffen, bis schließlich die Bauern in ihren Zipfelmützen herauskamen, die Hoftore öffneten und die ganze Gesellschaft ins Freie hinausjagten.
Stolz gingen die beiden Gockel aneinander vorüber.
„Hm, hm“, räusperte sich Gigerich, als er Gagerichs ansichtig wurde, und dieser quittierte mit einem: „Danke, bestens, Herr Nachbar“, wobei ihm sein roter Kamm bedenklich anschwoll.
Unter einer großen Linde ließen sich Gigerich und seine Getreuen nieder, während Gagerich und sein Hofstaat unter einem mächtigen Kastanienbaum Platz nahmen. Sie hatten sich gar viel hin- und her zu rufen, eine Partei suchte immer die andere in Prahlen und Aufschneiden zu übertreffen.
Da krabbelte so von ganz ungefähr ein dicker, brauner Käfer daher. Der wollte seinen Vetter im Dorf besuchen, und weil er nun schon ein gutes Stück des Weges hinter sich hatte, ließ er sich gemächlich Zeit. Kaum hatte Gigerich den fetten Bummler erblickt, als er auch schon eins, zwei, drei – hast du nicht gesehen – nach ihm hinstürzte.
Doch Gagerich war auch nicht faul, er gönnte seinem Nachbarn den Sonntagsbraten nicht, – flugs wie der Wind war er an Gigerichs Seite und hinderte diesen am Zuschnappen.
Eine alte, erfahrene Gans benutzte die Gelegenheit, watschelte rasch herbei und sagte, indem sie sich behaglich über die Magengegend strich: „Ei, ei – hat der aber gut geschmeckt!“
Das brachte die beiden Hahnenmänner erst recht in Zorn. Mit vorgestrecktem Hals, aufgeblähtem Federkragen und feuerrotem Kamm standen sie sich gegenüber. Ganz fürchterlich wüteten sie aufeinander los. Jeder probierte möglichst hoch zu fliegen, um seinem Gegner aufs Dach zu steigen. Sie hackten mit den Schnäbeln unbarmherzig aufeinander ein, – die ausgerupften Federn flogen. In weitem Umkreis saß und stand die übrige Gesellschaft und sah seelenruhig dem Zweikampf zu.
Schließlich waren die beiden Zorngockel so erschöpft und so jämmerlich zugerichtet, dass keiner mehr einen Angriff wagte. Blutend und halb gerupft lagen sie im Grase und ließen die Köpfe hängen.
Eine dicke Ente, die schon weit in der Welt herumgereist war, viel gesehen hatte und sich auf ihre Erkenntnisse etwas zugute tat, rief plötzlich aus: „O jerum, o jerum – die sehen ja aus wie die geschundenen Raubritter!“
Sofort platzte die ganze Gesellschaft in schallende Heiterkeit aus. Nur die beiden Gockel, die rührten und regten sich nicht. Ihnen war Hören und Sehen vergangen.
Ein naseweiser, frecher, kleiner Spatz, der beim Anblick der beiden gerupften Helden vor Lachen nicht mehr weiter fliegen konnte, setzte sich auf mein Haus und pfiff die ganze Geschichte vom Dach herunter.
Dadurch habe ich sie erfahren und für euch aufgeschrieben.
Verträglichkeit, Verträglichkeit,
die übet früh und spät,
dass es euch nicht wie Gigerich
und Gagerich ergeht!
Lina Sommer